17 Tage Schach Nonstop in der goldenen Stadt hatten wir uns vorgenommen. Das klingt nach viel und uns war schon im Vorfeld klar, dass es sehr anstrengend werden würde, aber das Angebot war verlockend: Alle Jugendeuropameisterschaften (Blitz, Rapid, Teamrapid und klassisch) direkt hintereinander an einem Ort, weniger Reisestress und -kosten und dazu noch größtenteils in den Sommerferien. Dieses Jahr wechselte Lily die Altersklasse von G10 zu G12, es ist also ihr Juniorjahr. Trotzdem war sie in den Setzlisten der verschiedenen Wettbewerbe unter den Top10, also durchaus aussichtsreich platziert. Wir waren allerdings von unseren Erfahrungen auf vergangenen internationalen Meisterschaften gewarnt, dass ELO-Zahlen in dieser Altersstufe noch keine große Aussagekraft haben, sodass Lily durchaus mit Hoffnung, aber ohne große Erwartung in die Wettbewerbe ging. Gespielt wurde im Top Hotel Prag, wo laut dem Bundestrainer Bernd Vökler schon Vincent Keymer 2012 seine erste Europameisterschaft in der Altersklasse U8 spielte. Kurze Stichpunkte zum Hotel: Allgemein ein „Ostblock-Flair“, gutes Essen, schöner Garten, saubere Zimmer, keine Klimaanlage, insgesamt renovierungsbedürftig. Los ging es mit dem Rapid- und Blitzevent. Die Anmeldung bei Europa- und Weltmeisterschaften läuft immer über die jeweiligen nationalen Verbände. Diese entscheiden also, wen sie schicken und wen nicht. Bei Rapid- und Blitz hält der DSB es so, dass grundsätzlich jeder teilnehmen darf, der bereit ist, dafür die Unkosten zu tragen. Beim klassischen Schach dagegen muss man sich über die Platzierung bei der Deutschen Meisterschaft oder über Performance-Normen für die Teilnahme qualifizieren.

Die deutsche Mannschaft bei den Blitz- und Schnellschachmeisterschaften. Da wir es erstaunlicherweise geschafft haben, wirklich alle deutschen Teilnehmer auf das Bild zu bekommen, hier einmal zur Feier des Tages mit Namensnennung von links nach rechts: Dakxwin Sutharjan, Konstantin Müller, Kristjan Heidemann, Lily Schirmbeck, Charis Peglau, Maja Buchholz, Michelle Trunz, Tamila Trunz, Karl Gersemann, Paul-David Peglau, Justin-Michael Fadeev, Anton Belin, Daniel Steiner

Im Trikot in der Lobby des Top Hotels mit einem tschechischem Kulturgut im Hintergrund

Das schachliche Highlight des Rapid-Turniers war dabei sicher die Partie gegen die Setzlistenzweite Nora Illes-Nagy aus Ungarn, in der Lily in horrender Zeitnot einen schönen Gewinn fand.

Weiß zog gerade b4 und stellte damit die Partie endgültig ein. Nach Txg1 Kxg1 Ld4 Kf1 Th1 Kg2 Th2 fällt der weiße Turm.

Die EM-Vierte im Rapid (Vor einer Runde durften die Eltern und Betreuer mit in den Spielsaal, um Fotos zu machen. Ansonsten war die heilige Halle für alle außer den Spielern und Schiedsrichtern tabu.)

Lily mit Emma Cretescu (rechts sitzend) aus Rumänien vor einer Rapidrunde. Die beiden Mädels haben schon viele internationale Meisterschaften zusammen gespielt.

Lily spielte mit 6 aus 9 ein gutes Turnier. Lediglich in einer Partie wurde sie überspielt, 2 verlor sie in besserer Stellung nach Fehlern in Zeitnot. Der 4. Platz war etwas unglücklich, da es sogar fast für das Treppchen gereicht hätte, aber wir gingen zuversichtlich in die weiteren Wettbewerbe. Als nächstes stand Blitz und Team-Rapid auf dem Programm. Im Blitzen lief es nicht gut. Viele unnötige und unglückliche Niederlagen, einmal lief Lilys Uhr ab, während sie umwandeln wollte, die Dame aber nicht schnell genug unter den geschlagenen Figuren fand. Am Ende war es der 15. Platz. Aus deutscher Sicht gab es aber diesmal zwei Medaillen: Konstantin Müller gewann Gold in der U10, Charis Peglau Silber in der Altersklasse G16.

Team-Rapid lief dann allerdings nur für Lily glücklich. Sie trat zusammen mit Tamila Trunz in der Altersklasse G14 an, verlor keine Partie und spielte eine ELO-Performance von 1843. Leider erwischte Tamila einen schlechten Tag und am Ende reichte es für die Mädels nur zum 9. Platz.

Es folgte noch ein Solving-Wettbewerb. Diese sind in Deutschland nicht besonders verbreitet. Man muss sich das wie eine Klassenarbeit im Fach Schach vorstellen mit verschiedenen Aufgaben (Endspiele berechnen, Mattmotive finden usw.) und der mit der höchsten Punktzahl gewinnt. Maja Buchholz sicherte eine Medaille für Deutschland. Wir ließen den Wettbewerb aus, verabschiedeten uns einen halben Tag aus der „Schachblase“, fuhren zum dendrologischen Garten Prag und gönnten uns etwas Natur sowie ein leckeres Eis.

In der Natur im Touri-Outfit

Nun stand der Übergang zum klassischen Turnier an. Für uns bedeutete das einen Ruhetag, an dem die An- und Abreise für alle Teilnehmer erfolgte, die nicht beide Wettbewerbe spielten. Die deutsche Mannschaft wuchs dabei beträchtlich und auch die deutschen Trainer reisten an. Ich hatte in deren Abwesenheit die Rolle des Delegationsleiters übernommen und konnte diesen Job nun an den Bundesnachwuchstrainer abgeben. Wir mussten das Hotel wechseln. Bisher hatten wir direkt im Top Hotel gewohnt (in dem im integrierten Kongresszentrum auch die Spielsäle waren) und mangels Klimaanlage ordendlich geschwitzt. Nun brachten wir unsere Koffer ins Sonata Hotel. Vorteil: Klimaanlage und Innenstadtlage direkt am Wenzelsplatz, Nachteil: Täglicher Bustransfer inklusive Überfüllung und desorientierte Fahrer. Einmal endeten wir auf der Rückfahrt von der Runde mit dem Gelenkbus in einem Industriegebiet und mussten feststellen, dass der Busfahrer das Rückwärtsfahren nicht gelernt hatte. Vor dem Umzug fuhren wir morgens aber noch einmal in die Innenstadt auf den großen Fernsehturm, der auf einigen Listen als eines der hässlichsten Gebäude Europas auftaucht. Da kann man sicher geteilter Meinung drüber sein, auf jeden Fall gab es von oben einen wunderschönen Blick über Prag.

Die deutsche Mannschaft des klassischen Turniers

Das klassische Turnier lief leider insgesamt enttäuschend für Lily. Die Partien waren an sich gar nicht schlecht, aber es fehlte dann immer so das letzte bisschen Einsatz und Kreativität, um gewonnene Stellungen auch wirklich zu gewinnen, in remisigen Endspielen doch noch einen Gewinnweg zu suchen oder aus einer schlechten Stellung noch ein glückliches Remis zu machen. Ab Mitte des Turniers merkte man Lily die Müdigkeit auch an und so wurde es nur ein Platz im Mittelfeld. Die anderen Mädchen spielten außerdem auch ziemlich gut Schach und die ständigen Transfers hin und zurück waren auf die Dauer echt nervig.

Mit Yaroslava Sereda bei der gemeinsamen Analyse während des Bustransfers

Ema Trcalkova – Lily Schirmbeck: Die einzige Kurzpartie des gesamten Turniers. Df3 verliert wegen des taktischen Schlags Lg4!, auf Dxg4 folgt dann Sxf2 mit einer hübschen Gabel.

Lily bei der Arbeit. Auch dieses Mal durfte man keine eigenen Kugelschreiber in den Spielsaal mitbringen (Cheatinggefahr!), sondern musste mit den von den Organisatoren gestellten schreiben.

Am Ruhetag konnten wir den Vorteil der zentralen Lage unseres Hotels nutzen und viel erleben:

Am morgen machten wir mit den Peglaus einen Ausflug zur Prager Burg und genossen den wunderschönen Blick über die Stadt.

Auf dem Ausflugsdampfer, der fortschrittlicherweise einen Elektroantrieb hatte: (v.r.n.l.) Lily Schirmbeck, Anna Heidtkamp, Olivia Lukas, Wilhelm Ni, Yunqi Li, Paul-David Peglau

Vater und Tochter auf der Moldau

Mit Olivia Lukas im „Museum der phantastischen Illusionen“

Auch ich hatte noch ein kleines schachliches Highlight in Prag. Ganz spontan am Vorabend sah ich, dass man sich zu einem Simultan mit IM Zuzana Hagarova anmelden konnte, was ich dann sofort tat. Ungefähr 20 Teilnehmer spielten gegen sie und ich hatte die Ehre ihren Königsinder auseinander nehmen zu dürfen ;-).

Aus deutscher Sicht gab es dieses Jahr auch nur eine Medaille: Chen Yuefan gewann Silber in der Altersklasse G10, sie „erbte“ damit also sozusagen Lilys Platzierung aus dem letzten Jahr. Herzlichen Glückwunsch nach Shanghai an dieser Stelle! Ansonsten waren wir am Ende wirklich froh, dass das Turnier zu Ende war. Im Nachhinein gesehen war es vermutlich keine gute Idee, alle Wettbewerbe zu spielen. Wir nehmen aber trotzdem viele schöne Erlebnisse und Erinnerungen mit aus Prag. Die Stadt ist wirklich ein Schmuckstück. Man kann dort sehr viel erleben, noch viel mehr, wenn man nicht die ganze Zeit mit Schach beschäftigt ist und quasi nur zwei freie Tage hat. Vielen Dank auch für die vielen netten Begegnungen mit den anderen Schachspielern aus aller Herren Länder. Auch schachlich waren die Eindrücke besser, als es die Ergebnistabellen letztlich auswiesen. Es zeigte sich einmal mehr, dass Lily mit den besten ihrer Altersklasse problemlos mithalten kann. Nächstes Jahr ist ihr Seniorjahr, dann wird sie wieder um die Medaillen mitspielen.

Link zu den Resultaten der Blitz-EM

Link zu den Resultaten der Rapid-EM

Link zu den Resultaten der Team-Rapid-EM

Link zu den Resultaten der klassischen EM

Link zur Website der Veranstaltung

Bericht des Deutschen Schachbunds

Bericht des Deutschen Schachbunds