Weitgehend unbeachtet von der allgemeinen Öffentlichkeit fand in den letzten Wochen in Hamburg das World Chess Event statt. Hierbei handelt es sich um eine höchstkarätig besetzte Turnierserie, bei der letztlich Plätze für das Kandidatenturnier im nächsten Jahr gewonnen werden können, bei dem wiederum dann der nächste Herausforderer von Magnus Carlsen ausgespielt wird. Es ging also um was. Der Modus war dabei maximal unübersichtlich. Im Rahmen der einzelnen Turniere gibt es ein K.O.-System mit abnehmender Bedenkzeit, turnierübergreifend, aber dann wieder ein Punktesystem. Darüber hinaus nehmen die Spieler nicht an allen Turnieren der Serie teil, was das Ganze noch komplizierter macht. Über die Einzelheiten sowie die Ergebnisse kann man sich auf der Internetpräsenz des Veranstalters schlau machen: https://worldchess.com/. Am Ende hat Alexander Grischuk gewonnen, freut mich sehr für ihn, da ich ihn für einen unkonventionellen sympatischen Zeitgenossen halte. Unvergessen bleibt für mich sein Live-Kommentar des letzten Weltmeisterschaftskampfs zwischen Caruana und Carlsen, direkt übertragen aus seiner schrecklich eingerichteten Moskauer Wohnung mit seinen plärrenden Kindern im Hintergrund, den er trotzdem voll souverän durchgezogen hat, auch wenn er ab und zu mal eine kleine Pause machen musste, um seine Blagen zu bändigen :-).
Für den interessierten Zuschauer war das aber letztlich auch egal, da es wirklich interessante Spiele zu bestaunen gab, selbst die gelegentlich stattfindenden Blitzpartien waren auf allerhöchstem Niveau. Ich war als freiwilliger Helfer an zwei Tagen vor Ort und habe Handys eingesammelt, die Snacks für die Spieler arrangiert und im Zuschauerbereich für Ruhe gesorgt. Es war eigentlich genug Personal vor Ort, dass es aus meiner Sicht gar keiner freiwilligen Helfer bedurfte, da zumindest die Runden unter der Woche an denen ich anwesend war, nur schwach besucht waren. Ich fand also genug Zeit zum Zuschauen. Hier ein Foto der Rezeption, wo ich auch teilweise meinen „Arbeitsplatz“ hatte, schönen Gruß an alle Abgebildeten!
Die Örtlichkeit war das Theater Kehrtwieder in der Speicherstadt am Hafen, eine wirklich schöne Örtlichkeit.
Die Theaterbühne wurde durch Entfernen der vorderen Publikumssitze vergrößert, sodass der Brettbereich in seiner Maximalausbaustufe letztlich so aussah. Das Foto wurde kurz vor der 1. Runde aufgenommen, ich bediene mich hier aus dem offiziellen Pressefotopool. Im Hintergrund haben schon Topalov und Nakamura Platz genommen.
Und noch einmal vom oberen Balkon, diesmal mit größerer Besatzung:
Die Größe des Brettbereichs war variabel, an einigen Tagen gab es nur ein Knockout Duell, also war auch nur ein Brett notwendig. Dann wurde die Bühne dafür extra verkleinert und der Zuschauerraum vergrößert, so z.B. am 9. Tag, an dem ich auch anwesend war. An dem Tag haben sich lediglich Daniil Dubov und Jan-Krysztof Duda im Schnellschach Knockout duelliert. Das sah dann so aus:
Und so von nahem, vor dem ersten Zug, ausgeführt von Luis Engel, einem aufstrebenden deutschen Schachspieler, der kürzlich GM geworden ist. Man sieht auch: Am Tag 9 wurde der Dresscode durch die Spieler schon deutlich weniger ernst genommen als am Premierentag.
Die von der Decke hängenden Bildschirme zeigten für die Zuschauer übrigens immer die jeweils aktuelle Partie, bei mehreren gleichzeitig nebeneinander laufenden Partien war die Darstellung allerdings deutlich zu klein – kleiner Kritikpunkt :-). Die Stative waren mit Kameras für die Liveübertragung ins Internet bestückt. Man konnte die Spieler, als Worldchess Abonnent, aus mehren Perspektiven gleichzeitig anschauen. Das Duell war besonders spannend, erst gewann Dubov im halbstünder mit Schwarz, dann schlug Duda mit Schwarz tatsächlich zurück und gewann schließlich in den darauf folgenden 10-Minuten-Partien das Duell. Die Partien habe ich größtenteils im Zuschauerbereich nebenan mit Kommentar von Ilja Zaragatski verfolgt, der sich die Laune von technischen Schwierigkeiten erkennbar nicht verderben ließ. Ganz großes Kino!
Dort gab es auch eine kleine Ausstellung zum Thema Blockchain, Algorand, ein Sponsor des Events, ist in dem Bereich aktiv.
Nun noch ein Fazit: Ich habe es nicht bereut, zwei Nachmittage dort verbracht zu haben. Für Schachspieler ist es wirklich interessant mal von nahem gesehen zu haben, wie die Weltspitze ihre Turniere austrägt. Ich habe mich viele Stunden dort sehr gut unterhalten und durch meine Volunteer-Rolle auch ein bisschen als Organisator gefühlt, mit Backstage Pass :-). Da das Orga-Team fast komplett russischsprachig war, konnte ich auch hier meine Sprachkenntnisse etwas auffrischen, wenn ich länger konzentriert zuhöre, verstehe ich tatsächlich grundsätzlich worum es geht, das steigert das Selbstwertgefühl ungemein ;-). Das Bemühen, Schach publikumskompatibler zu machen, indem ein Knock-Out Modus mit abnehmender Bedenkzeit gewählt und die Veranstaltung durchaus hochwertig präsentiert wurde, wurde aber zumindest an den Tagen, an den ich da war, leider nicht durch ein größeres Publikumsinteresse belohnt. Schach ist und bleibt einfach schwer verdaulich für Nicht-Schachspieler, in dem Sinne wurde beim Hamburger Turnier dieses Ziel nicht erreicht.
An dieser Stelle noch vielen Dank an den Pressebeauftragten IM Georgios Souleidis, den ich bei seinem regelmäßigen Traininsangebot beim Hamburger Schachklub kennen lernen durfte und der mir auch den Hinweis auf den Pressefoto-Pool gegeben hat, der diesen Artikel sehr bereichert hat. Georgios hat auch einen sehr interessanten Youtube Channel mit dem Namen „The Big Greek“. Vorbeischauen lohnt, ich mache da später in einem weiteren Artikel auch noch etwas mehr Werbung für, versprochen!