Mit dem Vizemeistertitel bei der OWL-Meisterschaft hatte sich Lily direkt für die NRW Meisterschaft qualifiziert. 9 Runden Schach verteilt auf 6 Tage standen an und das weit weg von Zuhause in der Jugendtagungsstätte Wolfsberg an der niederländischen Grenze. Die erste Runde sollte am Ostermontag Nachmittags stattfinden, also reisten wir pünktlich an und wurden dort von einer Horde schachbegeisterter Kinder, Eltern und Organisatoren der Schachjugend NRW begrüßt. Auch mit Liza und Dascha konnte ein Wiedersehen gefeiert werden. Beide waren zusammen mit ihrem Vater angereist und auch Liza durfte das Turnier mitspielen. Die ganze Veranstaltung wurde von der deutschen Schachjugend intensiv medial begleitet. Instagram, Facebook und nicht zuletzt die Seite der deutschen Schachjugend selbst wurden bedient. Dort sind sehr viele Bilder und Infos über die gesamte Veranstaltung zu finden. In diesem Artikel beschränke ich mich darauf, den Verlauf des Turniers aus der Sicht unseres Vereinsmitglieds Lily zu beschreiben. Sie bekam es in der ersten Runde mit Elsa Heilmann von den Schachfüchsen Kempen zu tun.
Das U10w Turnier vor der ersten Runde. Die Anspannung war fast mit Händen zu greifen.
Jede Runde wurde mit dem Song „One Night in Bangkok“ aus dem Chess Musical eingeläutet, sozusagen als Einmarschmusik. Die Eltern wurden nach der Freigabe der Bretter sinnvollerweise aus dem Spielsaal verbannt und ihrem nervösen Schicksal überlassen, stundenlang nicht genau zu wissen, was ihr Nachwuchs am Brett so veranstaltet. Lily spielte die erste Runde letztlich erfolgreich, nachdem ihre Gegneri allerdings eine dicke Chance ausgelassen hatte, Vorteil zu erlangen:
Lily stellt hier mit Lh6 eine Mattdrohung auf. Nun würde Sh5 allerdings sowohl das Matt verhindern, die weiße Dame angreifen und gleichzeitig auch noch die schwarze Dame demaskieren, die dann im nächsten Zug den Läufer auf h6 schlagen kann. Elsa sah das glücklicherweise nicht und spielte stattdessen Sg4.
Später gelang es Lily dann, im Turmendspiel die gegnerischen Bauern abzuräumen und schließlich einen eigenen Bauern durchzubringen, mit der neuen Dame war es dann kein Problem, ihre Gegnerin Matt zu setzen. Ein guter Auftakt! In der zweiten Runde wartete dann Soraya Saeidi, die in der ersten Runde spielfrei hatte. Lily gewann sicher, die Partienotation ließ allerdings zu wünschen übrig, sodass es hierzu leider kein Diagramm verfügbar ist, um den Partieverlauf zu illustrieren. Der Dienstag war der erste Tag, an dem eine Doppelrunde angesetzt war, daher ging es schon am Nachmittag weiter. Lilys Gegnerin war Nicole Kühn vom SK Turm Schiefbahn. Die Partie endete Remis, auch diese ist leider für die Nachwelt nicht rekonstruierbar. Der erste Punktverlust, aber wir waren mit 2,5 aus 3 trotzdem sehr zufrieden mit den ersten beiden Tagen. Am nächsten Tag würde es richtig ernst werden.
Angekommen an Brett 1
Das Duell mit Samiksha Malagatte stand an. Diese hatte eine Runde zuvor etwas überraschend die Siegerin der OWL-Meisterschaft und nominelle Turnierfavoritin Dascha besiegt, Lily war also gewarnt. Die Partie verlief kurios. Lily gelang es zuerst, mit einem schönen Mannöver die Bauernstruktur vor dem gegnerischen König zu zerstören und positionellen Vorteil zu erlangen:
Samiksha zog hier Te8. Nun ist aber Lxf3 möglich und Schwarz muss mit dem Bauern zurücknehmen.
In der Folge versuchte Weiß diese schwarze Schwäche auszunutzen, ihre Figuren zu aktivieren und einen Königsangriff zu starten. Leider machte sie dabei entscheidende Fehler. Grundsätzlich ist es richtig, seine Türme zu aktivieren, in der folgenden Stellung muss Weiß aber konkret anders spielen:
Lily spielte im letzten Zug Td1. Dies erlaubt aber Schwarz mit Dg4 einen Damentausch zu forcieren. Nach diesem Mannöver steht Schwarz aufgrund des Läuferpaars und des Mehrbauern besser. Lxf5 wäre stattdessen die beste Wahl gewesen.
Im weiteren Partieverlauf ließ sich Lily sogar ihren Turm einsperren, verlor die Qualität, und stand damit glatt auf Verlust. Samiksha bot trotzdem aus heiterem Himmel Remis an, welches Lily gerne annahm. Das war Glück! Am dritten Tag sprangen also zwei Remis heraus, angesichts der Partien waren wir trotzdem sehr zufrieden und realisierten so langsam, dass Lily stark genug war um vorne mitspielen zu können und damit eine ernsthafte Kandidatin für die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft sein würde.
Am nächsten Tag würde das Duell mit Dascha anstehen, gegen die Lily bei der OWL-Meisterschaft eine Woche zuvor durchaus nicht chancenlos war. Beide Mädchen waren sehr aufgeregt und die Partie war eng. Zuerst stellte Lily in der Eröffnung einen Bauern ein, kämpfte sich aber zurück und hatte einen vielversprechenden Angriff, bei dem sie leider aber nicht die richtige Fortsetzung fand:
Tb2 wäre hier laut Computer sehr stark gewesen. Weiß ist nicht in der Lage, sein Figurenknäuel zu entwirren und verliert mittelfristig Material. Hätte ich den Zug gefunden? Zweifelhaft!
Lily wickelte stattdessen mit Txc1 in ein ausgegliches Endspiel ab. Dies hätte sie eigentlich nicht verlieren dürfen, ihre Nerven spielten ihr leider das erste Mal einen bitteren Streich.
Kg6 lässt das einfache Te6 mit Figurenverlust zu.
Die Niederlage war der erste richtige Rückschlag im Turnier. Lily war sehr geknickt und ärgerte sich, zum Reflektieren war aber keine Zeit. Die Partie hatte so lange gedauert, dass wir nur noch kurz Mittagessen gehen konnten, danach würde unmittelbar die nächste Runde anstehen. Marie Mrugalski hieß die Gegnerin und sie tat Lily den Gefallen, in der Eröffnung einen Fehler zu begehen, der Lily einen schnellen Sieg bescherte:
Dc2 lässt die Bauerngabel e4 zu, die einfach eine Figur kostet. Lily nahm das Geschenk an, tauschte in der Folge alles ab und gewann die Partie sicher.
Diese Partie war genau das, was Lily zum Abschluss des Tages brauchte. Der Turniersieg war unwahrscheinlich geworden, aber ein Platz auf dem Treppchen war allemal noch drin. Am Abend wussten wir schon, dass am nächsten Tag die Partie gegen Liza anstehen würde. Die beiden hatten sich ja schon bei der OWL-Meisterschaft gegenüber gesessen (1. Runde). Lily hatte gute Erinnerungen an die Partie und auch dieses Mal klappte es mit einem Sieg. Liza spielte wieder Karo-Kann und wieder zog Liza mit c4 durch. Lily spielte ihre beste Partie des Turniers. In folgender Stellung nutze sie eine taktische Möglichkeit, um großen Vorteil zu bekommen:
Tb8 ist ein dicker Fehler. Weiß kann nun Lb5 spielen und eine Figur gewinnen.
Auch im folgenden fand Lily günstige taktische Abwicklungen und gewann die Partie sicher. Ein großer Erfolg, der Qualifikationsplatz war nun in Reichweite. Die Spitzenpaarungen waren mit dieser Runde allerdings allesamt gespielt, nun ging es in den verbleibenden 2 Runden für die Konkurrentinnen, um die Qualifikationsplätze nur noch gegen vermeintlich schwächtere Gegnerinnen. Lily durfte sich also keine Schwäche erlauben und musste voll auf Sieg spielen, wobei auf dem Niveau immer viel geschehen kann. Die vorletzte Runde ging gegen Karoline Franzen vom SV Heiden. Ihr stellte Lily eine Falle, in die sie auch gleich hineintappte.
Karoline nahm gierig den Bauern auf a2, Lily hatte aber weiter gerechnet und gesehen, dass mit Dc2 der Läufer auf b2 verloren gehen würde.
Mit einer Figur mehr spielte es sich dann auch gleich leichter und der Sieg war nicht mehr in Gefahr. Lily machte in den letzten Runden viel weniger leichte Fehler als in den ersten Runden. Damit war der Freitag beendet.
4 Mädchen hatten vor der letzten Runde Aussichten auf einen der drei Qualifikationsplätze. Dass Dascha das Turnier gewinnen würde, war recht wahrscheinlich, da sie einen halben Punkt Vorsprung und eine leichte Gegnerin in der letzten Runde haben würde. Samiksha, Liza und Lily stritten sich um die weiteren Plätze. Samiksha hatte einen halben Punkt Vorsprung vor den beiden. Lily und Liza waren direkt dahinter, Liza mit einem halben Buchholzpunkt mehr knapp vorne. Die Auslosung bescherte Lily aber eine weiter vorne platzierte Gegnerin, daher würde sie bei einem Sieg Liza auf jeden Fall überholen und sich Platz 3 sichern.
Die letzte Runde war ein Krimi, Dascha gewann schnell ihre Partie und stand damit als Turniersiegerin fest. Samiksha verlor überraschend, somit hätte Lily sogar ein Remis für den Qualifikationsplatz gereicht (was sie am Brett allerdings nicht wusste). Die Partie gegen Eva Ramien von der SG Porz war sehr eng. Lily hatte zu Beginn des Mittelspiels die Möglichkeit, durch einen taktischen Schlag großen Vorteil zu bekommen, was sie leider in folgender Stellung nicht sah:
Der weiße Zug Sh4 sieht für den erfahrenen Schachspieler schon ohne Rechnen komisch aus, und das ist er auch. Schwarz kann nun Lxd3 spielen und diesen wichtigen Bauern erobern. Die weiße Dame darf aufgrund des Abzuges Lxf2 nicht nehmen.
Die Partie mündete letztlich in einem ausgeglichenen Endspiel, in welchem Lily den entscheidenden Fehler beging:
Lily zog Kf2, es folgte das Opfer Tf2. Der weiße Bauer läuft durch. Die Stellung danach ist immer noch Remis, aber die praktischen Chancen liegen nun bei Weiß.
Irgendwann eroberte Eva noch Lilys g-Bauern und im Endspiel Dame gegen Turm ließ Lily sich schließlich nach mehr als 4 Stunden Spielzeit matt setzen. Ein bitterer Ausgang, Lily war am Boden zerstört und konnte sich über den 4. Platz bei 17 Teilnehmerinnen zuerst überhaupt nicht freuen. Erst nach und nach setzte sich bei ihr die Erkenntnis durch, insgesamt ein überragendes Turnier gespielt zu haben. Bei der Siegerehrung waren die Tränen schon etwas getrocknet, einen Pokal in der Hand gehalten und auf dem Podest der Siegerinnen gestanden hätte Lily allerdings schon gerne.
Das Turnier war für uns alle eine intensive Erfahrung, 9 Runden mitzuzittern ist auf jeden Fall ähnlich nervenaufreibend wie selbst am Brett zu sitzen. Lily hat in jeder Runde mit großem Einsatz gekämpft und war wie bei der OWL-Meisterschaft häufig eine der letzten am Brett. Sie war darum auch nach dem Turnier sehr müde, aber auch stolz darauf, unseren Verein dort vertreten zu haben. Im nächsten Jahr gibt es noch eine weitere Chance das Turnier zu gewinnen oder sich zumindest zur deutschen Meisterschaft zu qualifizieren. Lily möchte diese Chance nutzen und nächstes Jahr wieder angreifen :-).